Die Europäische Union und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Mitgliedschaft Deutschlands

Die Europäische Union und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Mitgliedschaft Deutschlands

Die Europäische Union oder EU wird oft als abgehobene Bürokratie verteufelt und von anderen als friedenserhaltendes Projekt fast mystisch überhöht. Heute umfasst sie mit 27 Mitgliedsstaaten fast eine halbe Milliarde Menschen und bildet dem Bruttoinlandsprodukt nach den größten Wirtschaftsraum der Erde. Probleme sind unübersehbar, aber wie gravierend sind sie wirklich?

 

Die Europäische Union hat wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaft Deutschlands, aber schon die Zuschreibung zur EU als Staatenbund ist nicht eindeutig. Welche Institutionen sind es genau, um die es sich handelt und wie kommen ihre Entscheidungen zustande? Für die Beurteilung der politischen Lage und die Auswirkungen auf den einzelnen Bürger oder das einzelne Unternehmen stellen wir Ihnen Informationen über die Konstruktion und das Agieren der EU vor.

 

Die Europäische Union und ihre Herkunft und Anfänge

 

Europäische UnionNach dem Zweiten Weltkrieg suchten die Politiker verschiedener europäischer Länder nach einer friedensstiftenden Organisation. Sie sollte durch wirtschaftliche Vorteile für alle Beteiligten und eine Möglichkeit zur friedlichen Lösung von Konflikten einen neuen Krieg möglichst unwahrscheinlich machen.

 

In den fünfziger Jahren begann dieser Prozess durch die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit sechs Mitgliedsstaaten. Die Europäische Union wurde im Jahr 1992 durch die Verträge von Maastricht gegründet, durch die auch die Zuständigkeiten der EU über das rein Wirtschaftliche hinaus erweitert wurden. Ein nächster wesentlicher Schritt war die Einführung des Euro als gemeinsame Währung für 19 Mitgliedsländer. Auch die Entscheidung der Briten 2016 zum Brexit ist ein Teil der Entwicklung der EU, der in diesem Fall eine Reduktion der Zahl der Mitgliedsländer bedeutet.

 

Die Europäische Union und ihre politischen Institutionen

 

In Medienberichten werden immer wieder einzelne Maßnahmen von EU-Institutionen und ihre positiven oder auch negativen Auswirkungen diskutiert. Die Abläufe in der EU sind jedoch nicht ganz mit den politischen Realitäten der Mitgliedsländer vergleichbar. Um die Auswirkungen zu beurteilen und sich auch eine Meinung über die Arbeit der verschiedenen Stellen bilden zu können, ist ein detaillierterer Blick auf die verschiedenen Institutionen der EU erforderlich.

 

Europäisches Parlament

 

Das EU-Parlament besteht aus direkt gewählten Abgeordneten aus allen Mitgliedsländern, wobei die kleineren Länder im Verhältnis zur Einwohnerzahl eine größere Zahl von Parlamentariern stellen. Für jedes in der ganzen EU rechtskräftige Gesetz ist die Zustimmung des EU-Parlaments erforderlich. Es besitzt allerdings kein Initiativrecht zum Einbringen von Gesetzesvorschlägen.

 

Europäischen Union und ihr Rat

 

Die Art der Arbeit dieser EU-Institution legt nahe, sie auch mit dem Begriff Ministerrat zu bezeichnen. Er tagt nämlich in 10 unterschiedlichen Ratsformationen, die sich jeweils mit einer bestimmten Materie befassen. Jede dieser Formationen absolviert zwischen zwei und sechs Sitzungen in einem halben Jahr. Diese Zeiteinheit benützen wir deshalb, weil der Vorsitz im Rat der EU jedes halbe Jahr wechselt und jeweils von einem Mitgliedsland wahrgenommen wird.

 

In jede dieser Formationen entsendet jeder Mitgliedsstaat der EU einen Vertreter, bei dem es sich üblicherweise um den für diesen Bereich zuständigen Fachminister handelt. Der Rat der EU spielt im Gesetzgebungsprozess eine entscheidende Rolle, denn zusammen mit dem EU-Parlament muss auch er jedem Gesetzesvorhaben zustimmen.

 

Europäischer Rat

 

Auch wenn die Bezeichnung vom Rat der EU nur schwierig auseinanderzuhalten ist, handelt es sich hier um ein ganz anderes Gremium mit sehr verschiedenen Aufgaben. Der Europäische Rat umfasst alle Spitzenvertreter der Mitgliedsstaaten. Je nach der nationalen politischen Tradition nimmt das Staatsoberhaupt oder der Regierungschef einen Sitz im Europäischen Rat ein.

 

Dieses Gremium trifft sich zu zwei Gipfeltreffen im Jahr und legt die Richtlinien der weiteren Entwicklung der Europäischen Union fest. Der Europäische Rat übernimmt auch die Aufgaben der Abstimmung vom Rat der EU, wenn sich die dort vertretenen Fachminister in einer bestimmten Frage nicht einigen können.

 

Europäische Kommission

 

Die Kommission ist das Exekutivorgan der EU und entspricht auf nationaler Ebene etwa der Regierung eines Landes. Das Vorschlags- oder Initiativrecht für ein Gesetz liegt mit wenigen Ausnahmen bei der Kommission.

 

Die Idee hinter diesem Gremium ist eine Zuständigkeit der einzelnen Kommissare für je einen Fachbereich. Von einem Kommissar wird erwartet, dass er die Gesamtinteressen der EU in seinem Handeln als Richtschnur betrachtet und nicht die Partikularinteressen seines Landes.

 

Jedes Mitgliedsland der EU hat das Recht auf einen Kommissar in der EU-Kommission. Das mag mit wenig mehr als einem Dutzend Mitgliedsländern durchaus Sinn gemacht haben, bei einer Zahl von 27 Ländern bedeutet es allerdings das Einrichten von sehr speziellen Ressorts. Insbesondere vermischt diese Art der Organisation die Führung von notwendigen Ressorts mit der Repräsentation der einzelnen Mitgliedsstaaten.

 

Europäische Zentralbank

 

Für die Belange der Wirtschaft ist die Europäische Zentralbank oder EZB natürlich von wesentlicher Bedeutung. Sie legt die Geldpolitik und den Leitzins für die gesamte Eurozone fest.

 

Im EZB-Rat sind neben den Mitgliedern des Direktoriums auch die Präsidenten der Nationalbanken der Mitgliedsländer der Eurozone vertreten. Für Deutschland bedeutet das, dass die traditionellen Hartwährungsländer in diesem Gremium von den Befürwortern eines weicheren Euros überstimmt werden können. Es ist also wichtig, die Zusammensetzung des EZB-Rats und die Gewichtung verschiedener geldpolitischer Zugänge im Auge zu behalten.

 

Nach ihrer Satzung ist der EZB der unmittelbare Ankauf von Staatsanleihen verboten. Im Zuge der Eurokrise hat die EZB in den Jahren 2010 und 2011 allerdings Anleihen auf dem Sekundärmarkt erworben. Über die Zulässigkeit dieser Auslegung bestehen verschiedene Rechtsmeinungen. Darüber hinaus ist es aber auch klar, dass der Unterschied zwischen dem direkten Erwerb der Anleihen von Staaten und dem Ankauf von damit handelnden Banken nicht sehr groß ist. In beiden Fällen werden Staatsschulden monetarisiert.

 

Wie hart am Wind die EZB bereits jetzt schon segelt, wird aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 ersichtlich. Zum ersten Mal stellten sich die Karlsruher Höchstrichter in einem Urteil gegen den Europäischen Gerichtshof und gaben einer Klage gegen den Staatsanleihenkauf statt. Die rechtliche Situation nach dieser Entscheidung hat sich noch immer nicht stabilisiert.

 

Auch der von der EZB eingeführte Negativzins steht rechtlich zumindest auf wackligen Füßen. Es lässt sich argumentieren, dass er einer Steuer entspricht und damit auf eine Umgehung des Verbots der Steuereinhebung durch die Europäische Union hinausläuft.

 

Regulierungen durch die Europäische Union

 

Seit der Gründung der EU ist die Aufteilung der Zuständigkeiten der Gesetzgebung zwischen der EU und den nationalen Parlamenten eine zentrale Frage. Die untenstehende Auflistung macht deutlich, dass wesentliche Bereiche der gesetzlichen Regelung von den nationalen Parlamenten an die EU-Institutionen übertragen wurden.

 

Ausschließliche Zuständigkeit der EU

 

Sie besteht in den Bereichen Zollunion, Wettbewerbsregeln im Binnenmarkt, Währungspolitik der Euro-Mitgliedsländer, bestimmten Aspekten der Fischerei und der gemeinsamen Handelspolitik. Aus dieser Liste wird ersichtlich, dass Maßnahmen betreffend die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der EU auch durch ihre eigenen Institutionen geregelt werden sollen.

 

Geteilte Zuständigkeit

 

In diesen Bereichen können die nationalen Parlamente Rechtssetzungsakte durchführen, wenn diese geltendes EU-Recht nicht berühren. Die Liste ist länger als diejenige der ausschließlichen Zuständigkeiten, im Wesentlichen umfasst sie die anderen Aspekte der Wirtschaft und ihrer Regulierung.

 

Unterstützenden Zuständigkeit

 

Außer Industriepolitik gehören Bereiche wie der Tourismus, der Sport und die Kultur in diese Kategorie. In diesem Bereichen behalten die Mitgliedsländer der EU ihre volle Zuständigkeit für die Gesetzgebung. Maßnahmen der EU können hier nur in Ergänzung und Koordination bestehen.

 

Vorteile der EU-Mitgliedschaft für Deutschland

 

Binnenmarkt

 

Der europäische Binnenmarkt ist besonders für ein exportorientiertes Land wie Deutschland außerordentlich wertvoll. Ohne Zollkosten und bürokratische Formalitäten können deutsche Unternehmen im gesamten Binnenmarkt tätig werden. Zur Freiheit des Güterverkehrs kommt noch die Personenfreizügigkeit, die jedem Deutschen die Niederlassung in der gesamten EU ermöglicht.

 

Währungsgleichheit

 

Im Euroraum besteht kein Wechselkursrisiko mehr. Das spart Kosten für sonst notwendige Absicherungen gegen die Schwankungen verschiedener Währungen.

 

Globales Gewicht

 

Um globalen Einfluss geltend zu machen, sind auch die großen Mitgliedsländer der EU wie Deutschland in der Regel zu klein. Zur Durchsetzung von Interessen ist also auch Deutschland auf seine Einbindung in die Europäische Union angewiesen. Gerade die Öffnung des europäischen Binnenmarkts für Handelspartner ist eine Trumpfkarte in internationalen Beziehungen.

 

Wiedervereinigung

 

Im Jahr 1990 löste die anstehende Wiedervereinigung Deutschlands in manchen europäischen Ländern Unbehagen über das dadurch zunehmenden Gewicht des Landes aus. Man kann davon ausgehen, dass die Einbindung Deutschlands in die EU zumindest dazu beigetragen hat, diese Sorgen zu zerstreuen.

 

Nachteile der EU-Mitgliedschaft für Deutschland

 

Grenzkontrollen

 

Europäische UnionIn der Flüchtlingskrise wurde deutlich spürbar, dass die Abwesenheit von Grenzkontrollen innerhalb der EU auch Nachteile mit sich bringen kann. Auch wenn Flüchtlinge sichere Staaten erreicht haben, gehörte Deutschland mit Schweden und Österreich zu ihren bevorzugten Zielländern, die sie auch weitgehend problemlos erreichen konnten.

 

Euro

 

Neben bestimmten Vorteilen war die Aufgabe der D-Mark und damit einer Währung unter der alleinigen Kontrolle der Bundesbank auch mit unbestreitbaren Nachteilen verbunden. Der Euro ist bereits jetzt eine weniger harte Währung als die D-Mark und könnte in Zukunft noch weiter aufgeweicht werden. Besorgniserregende Schritte in diese Richtung sind bereits gesetzt.

 

Target-2 Salden

 

Innerhalb des Eurosystems existiert mit Target-2 eine Methode zur Abrechnung zwischen den Nationalbanken der Mitgliedsländer. Durch die Eurokrise hat sich in diesem System ein Ungleichgewicht in der Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro zum Nachteil Deutschlands aufgebaut. Würde ein wirtschaftlich schwaches Euroland aus der Währungsunion herausfallen, dürften diese Ausstände kaum einbringlich sein.

 

Eurokrise

 

Es ist unbestreitbar, dass es in mehreren südeuropäischen Ländern an der Bereitschaft zu wirtschaftlichen Reformen fehlt, auch wenn sie noch so notwendig wären. Mit diesen Ländern befindet sich Deutschland in einer Währungsgemeinschaft und ist damit zu einem wesentlichen Ausmaß von deren Entscheidungen abhängig. Manche diese Entscheidungen werden in Gremien in der EZB gefällt, in denen diese Länder Deutschland und andere Staaten mit ähnlichen Interessen überstimmen könnten.

 

An sich gibt es in der Eurozone eine Nichtbeistandsklausel, die eine Vergemeinschaftung von Schulden ausschließen soll. Durch die verschiedenen Rettungsschirme wurde diese Klausel allerdings bereits aufgeweicht. Im Raum stehen gemeinsame Anleihen, mit denen Deutschland für die Schulden von wirtschaftlich problematischen Ländern geradestehen müsste. Diese Anleihen würden diesen Ländern aber nur die Notwendigkeit von Reformen abnehmen, was noch mehr Belastungen für Deutschland bedeuten und die Eurozone zu einer Transferunion machen würde. Die bereits erwähnten Schritte haben uns schon jetzt sehr nahe an diesen Punkt herangeführt.

 

Probleme und Herausforderungen für die Europäische Union

 

Das Friedensprojekt hinter der EU wirkt auf viele Akteure so zwingend, dass problematische Aspekte oft ausgeblendet werden. Sollen diese aber bewältigt werden, kann das sicher nicht durch das Herunterspielen des Umfangs der Herausforderungen geschehen. Wir greifen einige der wesentlichen Punkte heraus.

 

Bürgerferne

 

Den EU-Institutionen wird oft eine Orientierung auf Eliten und ein Mangel an Transparenz vorgeworfen. Diese Probleme beschränken sich aber nicht auf das Verhalten einzelner Personen oder Organisationen. Durch die Vielfalt der Sprachen und Traditionen ist die Herstellung einer europäischen Öffentlichkeit in näherer Zukunft kaum realistisch. Diese wäre in der einen oder anderen Form aber notwendig, um die weiteren Schritte der Entwicklung der EU in der Bevölkerung diskutieren und gemeinsam entwickeln zu können.

 

Unklares Ziel

 

Sogar die in den Staaten und in der EU handelnden Personen sind sich nicht darüber einig, wohin die Entwicklung der EU gehen soll. Ein Staatenbund oder die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa sind sehr verschiedene Optionen, die beide auf dem Tisch liegen. Derzeit ist die EU ein Gebilde neuen Typs, für das im Deutschen der Begriff Staatenverbund eingeführt wurde.

 

Demokratische Standards

 

Für den Beitritt zur EU müssen Kandidaten demokratische Mindeststandards erfüllen. Aus diesem Grund wurde längere Zeit eine Mitgliedschaft Griechenlands, Spaniens und Portugals nicht zugelassen. Ein Grundproblem der EU ist der Umstand, dass dieser Staatenverbund die von ihm verlangten demokratischen Standards selbst nicht einhält.

 

Verfassung

 

In den 2000er Jahren wurde versucht, der EU eine Verfassung zu geben. Das Projekt scheiterte nicht nur an negativ ausgegangenen Referenden in mehreren Mitgliedsstaaten. Eindeutig nicht zufriedenstellend war auch der Umstand, dass der Text der vorgeschlagenen Verfassung über 30 Mal so lang war wie die Verfassung der USA. Im Gegensatz zum Text der Gründerväter der USA war der Entwurf der EU-Verfassung kaum auch nur verständlich.

 

Initiativrecht des EU-Parlaments

 

Nur die EU-Kommission hat das Recht, einen Gesetzesvorschlag im EU-Parlament einzubringen. Das bedeutet unter anderem auch, dass eine Änderung eines geltenden Gesetzes von derselben Organisation wie die ursprüngliche Version eingebracht werden müsste. Es liegt auf der Hand, dass das unwahrscheinlich ist und diese Notwendigkeit kaum einen befriedigenden Zustand darstellt.

 

Euro

 

Auch wenn die gemeinsame Währung in der Eurozone Vorteile hat, ändert das nichts an den grundsätzlichen Konstruktionsfehlern des Euro. Eine gemeinsame Währung ist nur für einen Bereich sinnvoll, der wirtschaftlich hinreichend ähnliche Eigenschaften und Bedürfnisse besitzt. Die Eurozone hingegen ist aufgespalten in nordeuropäische Hartwährungsländer wie Deutschland, früher kommunistisch regierte Länder mit wirtschaftlichem Nachholbedarf und südeuropäischen Weichwährungsländern. Es ist nicht einmal theoretisch möglich, mit einer gemeinsamen Währungspolitik diesen drei Zonen gerecht zu werden.

 

Lissabon Strategie

 

Als Beispiel für die begrenzte Handlungsfähigkeit und Effektivität der EU kann die im Jahr 2000 beschlossene Lissabon Strategie dienen. Sie deklarierte das Ziel der EU, bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Erde aufzusteigen. Wie mittlerweile hinlänglich bekannt, wurde dieses Ziel eindeutig nicht erreicht. Stattdessen sind viele Mitgliedsländer sogar daran gescheitert, eine Unternehmensgründung zu vereinfachen. Trotzdem wurde 2010 mit dem Plan Europa 2020 eine Strategie mit sehr ähnlich formulierten Zielen beschlossen.

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