Wohlstand – wie wird er definiert?

Wohlstand

Wohlstand – wie wird er definiert?

Wohlstand entsteht nicht aus dem Nichts. Er wird geschaffen – von Menschenhand. Schon die Bibel sprach von dem Land, in dem Milch und Honig fließt. Märchen fantasieren von Straßen, die mit Gebäck gepflastert sind und Gebäuden aus Zuckerguss.

 

Nichts davon ist wahr. Vor Einsetzen der Industrialisierung lebte die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung in bitterer Armut. Seitdem setzte ein unvergleichlicher Aufschwung ein, sodass sich das Ausmaß an Wohlstand rund um den Globus potenzierte.

 

Doch was ist Wohlstand überhaupt? Und anhand welcher Kriterien lässt er sich messen und vergleichen? Darüber hinaus übt die nachfolgende Abhandlung Kritik an der konventionellen Wortbedeutung und zeigt Alternativen auf.

 

Wohlstand – Historie des Begriffs

 

Um solch einen gesellschaftsrelevanten und politischen Begriff zu thematisieren, ist zunächst dessen unmissverständliche Definition nötig.

 

Der heute gebräuchliche Terminus hat seine Wurzeln im 17. Jahrhundert. Damals wurde versucht, die wirtschaftlichen Leistungen eines Volks anhand von Indikatoren näherungsweise zu bestimmen. Im Lauf der Zeit entwickelte unter anderem der Ökonom John Maynard Keynes basierend auf der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Kreislauftheorie. Auf dieser baut das gegenwärtig in Deutschland vorhandene Verständnis auf.

 

Wie entsteht das Bruttoinlandsprodukt? (BIP)

 

Demnach dient das Bruttoinlandsprodukt als Kenngröße für Wohlstand. Es misst die gesamten Güter und Dienstleistungen, die von der Volkswirtschaft im Zeitraum von einem Jahr verbraucht und produziert werden und mit einem Marktpreis ausgestattet sind. Das Bundesamt für Statistik publiziert vierteljährlich das BIP.

 

Bildlich dargestellt packt die Behörde jeden gekauften Joghurtbecher, jeden Haarschnitt, jede Nachhilfestunde, jeden Theaterbesuch und jegliche Infrastrukturprojekte in einen Beutel und versieht diesen anschließend mit einer Zahl. Nachfolgend dividiert es die Summe durch die in Deutschland lebende Bevölkerung. Daraus resultiert das BIP pro Kopf.

 

Deutschlands Wirtschaft im internationalen Vergleich

 

Das Bruttoinlandsprodukt fungiert als Vergleichsmaßstab der wirtschaftlichen Stärke von Staaten und Nationen. Hieran gemessen lag die Bundesrepublik beim BIP pro Kopf im Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie hierzulande auf Platz 18, während sie bei der absoluten Höhe des BIP auf Platz 4 der Welt landete. Erstgenanntes betrug 46.473 US-Dollar – eine Reduktion um 2.84 Prozentpunkte.

 

Es gilt die Faustregel – je höher das Bruttoinlandsprodukt, desto höher ist der Wohlstand. Demzufolge verfügt ein Land mit einer starken Wirtschaft über ein hohes BIP. Basierend auf dieser Berechnungsgrundlage lässt sich Wohlstand durch die Produktion von Gütern und das Offerieren von Dienstleistungen steigern.

 

Ungewisse Zukunftsaussichten für den Wohlstand

 

Allerdings bedingt jene Annahme, dass die fertiggestellten Waren und Dienstleistungen auf Nachfrage stoßen. Angesichts der demografischen Entwicklung (negatives Geburtensaldo) ist das Wachstum der Binnennachfrage in der Zukunft zumindest sachlich fraglich. Demgegenüber steht das mögliche Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung.

 

Mehr Menschen auf begrenztem Raum bewirken eine steigende Nachfrage für die zuvor genannten Angebote und Güter. Einschränkend ist zu erwähnen, dass die weitere Entwicklung der Anziehungskraft Deutschlands auf Menschen aus fremden Ländern nicht prognostizierbar ist. Um trotzdem die Wirtschaft zum Wachsen zu bringen, bleibt neben der Produktivitätssteigerung die Steigerung der Exporte. Jedoch müssen auch diese auf eine äquivalente Nachfrage treffen.

 

Was ist mit weiteren Faktoren wie Einkommen, Vermögen und Freizeit?

 

Eine Vielzahl der Menschen betrachtet Aspekte wie Einkommen, Vermögen und Freizeit als relevanten Maßstab für Wohlstand. Das Bruttoinlandsprodukt ist für sie unbedeutend. Das ist nachvollziehbar, da die erstgenannten Termini deutlich mehr direkten Einfluss auf die Lebensgestaltung der Menschen nehmen. Diesbezüglich ergibt sich im Vergleich mit dem BIP pro Kopf ein differenziertes Bild der Wettbewerbsfähigkeit Deutschland.

 

35.000 US-Dollar als Richtwert für Wohlstand

 

Traditionell sprechen die Deutschen nicht über Geld. Sie empfinden unter anderem Scham oder fürchten sich vor Sozialneid. Trotzdem existieren verlässliche Daten zur Vermögenssituation der Bevölkerung. Von Bedeutung ist das Median-Vermögen, denn es teilt das Land in eine ärmere und eine reichere Hälfte.

 

Es beträgt 35.000 US-Dollar. Für die einen mögen 35.000 US-Dollar viel Geld sein, andere wiederum belächeln solch eine Summe. Um den Betrag einschätzen zu können, lohnt sich der Blick in andere Länder.

 

Dabei fällt auf, dass die Nachbarländer Österreich mit einem Median-Vermögen von 94.000 Dollar und die Schweiz mit 228.000 Dollar über signifikant mehr finanzielle Mittel verfügen. Selbst als arm deklarierte Staaten wie Griechenland mit 40.000 Dollar und Italien mit 92.000 Dollar haben einen höheren Median. Selbstverständlich gibt es Staaten, in denen die Bevölkerung weniger Geld ihr Eigen nennt. Beispielsweise haben nur 50 Prozent der Esten mehr als 25.000 Dollar.

 

Geringe Wohneigentumsquote

 

Die Gründe für das geringe Median-Vermögen sind nur schwer fassbar. Sicherlich spielt die geringe Wohneigentumsquote eine Rolle. Sie beläuft sich auf 42,1 Prozent.

 

In der Europäischen Union wohnen lediglich die Schweizer prozentual gesehen seltener in den eigenen vier Wänden. Die stark steigenden Kaufpreise für Wohneigentum werden die Entwicklung mutmaßlich begünstigen. In Bayern stiegen die durchschnittlichen Kaufpreise seit 2010 um 153 Prozent.

 

Einkommen

 

Um Vermögensaufbau zu betreiben, ist zunächst die Generierung von Einkommen nötig. Der Median beträgt 1869 Euro pro Monat. Hier zeichnet sich ein ähnliches Bild wie beim Vermögen. EU weit liegt Deutschland nur auf Platz 10.

 

Trotz des eher durchschnittlichen Einkommens haben die Menschen in Deutschland eine der höchsten Abgabenquoten weltweit zu zahlen. In der Folge bleiben ausschließlich kleine Beträge zum Investieren übrig. Der Aufbau von Kapital ist somit nur sehr schwer realisierbar.

 

Des Weiteren arbeitet eine beträchtliche Anzahl der Menschen im Niedriglohnsektor. Dieser Wert ist nur in einigen Staaten Osteuropas höher. Aufgrund der schieren Masse an Arbeitskräften kann Deutschland als der Niedriglohnsektor Europas beschrieben werden.

 

Freizeit gehört auch zum Wohlstand

 

WohlstandWie viel Freizeit haben die Deutschen? Kurz und knapp gesprochen – eine Menge. Mit im Schnitt 30 Urlaubstagen jährlich nimmt die Bundesrepublik einen Spitzenplatz ein. Den Schweizern werden zum Beispiel lediglich 20 Tage zugesprochen und den US-Amerikanern 22.

 

Darüber hinaus sank die Wochenarbeitszeit rapide. Westeuropäer arbeiteten 1870 etwa 66 Stunden wöchentlich – eine unvorstellbare Zahl. Heute sind es im Schnitt 38.

 

Ferner halfen technische Innovationen wie die Waschmaschine, der Elektroherd oder der Kühlschrank Zeit zu sparen. Reisen in andere Länder dauerten Tage oder Wochen. Heutzutage fliegt ein Flugzeug in 12 Stunden nach Südostasien. All jene Faktoren bleiben bei der Ermittlung des BIP unberücksichtigt, obwohl sie die Lebensqualität und den Wohlstand massiv steigen lassen.

 

Kuriositäten bei der Messung des BIP

 

Kritiker bemängeln, wie dargelegt, bei der Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts insbesondere das Ignorieren schwach messbarer Faktoren. Hier zählen unter anderem Beeinträchtigungen durch Verkehrslärm, der Klimaschutz, Zufriedenheit und Glück. Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Überschwemmungen in Süd- und Ostdeutschland 2002 nach Schätzungen die Steigerung des BIP um 0,3 Prozentpunkte bewirkten, scheint die Kritik begründet.

 

Überdies trägt auch die Umweltverschmutzung zu mehr Wohlstand bei. Ursächlich hierfür ist, dass exemplarisch bei der Beseitigung von Sondermüll Dienstleistungen erbracht werden. Diese fließen in die Bewertung des Bruttoinlandsprodukts mit ein.

 

Das Gleiche gilt für die Behandlung von Krebspatienten oder Verkehrsunfälle. Dabei werden Güter produziert, Serviceleistungen vollzogen und schlussendlich Kapital umgesetzt. Mit der Steigerung von Lebensqualität, der Zufriedenheit oder Glück gehen diese Prozesse nicht einher.

 

Andererseits fallen ehrenamtliche Tätigkeiten, der Tauschhandel, die Selbstversorgung als auch Schwarzarbeit aus der Berechnung heraus. Auch solche Umstände beeinflussen den Wohlstand. Sie müssten im imaginären Korb vorhanden sein.

 

Wirtschaftsleistung als alleiniger Indikator?

 

Das BIP hat nur sehr begrenzt Aussagekraft über den Wohlstand im Sinne der Definition von Glück. Beispielhaft lässt es das Treffen von Aussagen über die Vermögensverteilung nicht zu. Hierzu ist der Gini-Koeffizient unabdingbar. Ferner lässt es Güter und Dienstleistungen ohne direkte Bepreisung vollkommen außer Acht.

 

Ob die Bevölkerung wirklich zufrieden ist und sich als wohlhabend bezeichnet, lässt sich nur mit der Methode der Befragung herausfinden. Welche kausalen Gründe dafür verantwortlich sind, bleibt im Verborgenen. Das Bruttoinlandsprodukt ist zur Messung ungeeignet.

 

Ferner begünstigt es schädliches Verhalten. Die Zerstörung der Natur beeinflusst das BIP positiv. Beispielsweise führt die Begradigung von Fließgewässern oft zu Überschwemmungen. Nehmen anschließend Bauwerke Schaden, sind Investitionen nötig, um den Ursprungszustand wiederherzustellen.

 

Alternativen zur Definition von Wohlstand

 

Folglich stellt sich die Fragen nach alternativen Möglichkeiten zur Berechnung des BIP. Welche Aspekte müssen beachtet werden und welche Faktoren berücksichtigt? Eine Idee liefern die Vereinten Nationen. Sie definieren Glück und Wohlbefinden als fundamentalen und erstrebenswerten Teil der Menschheit.

 

Demnach beinhaltet der Begriff mehr als nur Glück. Er umfasst zudem eine hohe Lebenserwartung, Freiheiten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Das alleinige Festmachen von Wohlstand am BIP kritisiert die Organisation scharf. Dadurch würden die Kosten des Wirtschaftswachstums auf die Umwelt und für die Gesellschaft nicht genügend in die Rechnung mit einbezogen.

 

Diesbezüglich ist anzugeben, dass das BIP in der Regel mit Lebenserwartung, Zufriedenheit und Glück korreliert. Staaten mit hohem BIP sind meist wohlhabender, ihre Bürger leben länger und sind zufriedener sowie glücklicher als Menschen in Staaten mit geringerem Bruttoinlandsprodukt.

 

Human-Development-Index (HDI)

 

WohlstandNeben den rein wirtschaftlichen Faktoren rückt das subjektive Gefühl der Menschen immer mehr in den Fokus. Der von den Vereinten Nationen initiierte HDI lässt neben dem Bruttoinlandsprodukt Bildung und Lebenserwartung in die Bewertung einfließen. Deutschland nimmt hinter Norwegen, der Schweiz und Irland den vierten Platz ein.

 

Themenkomplexe wie Meinungsfreiheit, politische Freiheit sowie Klimaschutz und Nachhaltigkeit bleiben allerdings auch hier unberücksichtigt. Zudem ist die Vermögens- und Einkommensverteilung nur wenig relevant. Das gleiche gilt für soziale Verwerfungen und Ungleichheiten.

 

Weitere Kritik bezieht sich auf die Übergewichtung von Bildung. Sie wird anhand der absolvierten Schuljahre einer durchschnittlichen 25-jährigen Person gemessen.
Ferner bemängeln Skeptiker, dass entwickelte Staaten mit hoher ökologischer Verschmutzung korrelieren. Der WWF plädiert für die Aufnahme des ökologischen Fußabdrucks in den Index, da Nachhaltigkeit das Fundament menschlichen Wohlergehens bilde.

 

Bhutan – die Insel der Glückseligkeit

 

Das südasiatische Land implementierte 2008 Glück als Ziel seines Wirkens in der Verfassung. Es wird mittels Umfragen gemessen. Ziel ist es, das Glück in seiner Gesamtheit zu steigern. Danach richten sich die zu erlassenen Gesetze.

 

Die Bürger wirken aktiv mit, indem sie Verbesserungsvorschläge einreichen und Veränderungen anregen. Das Glück soll jedoch nicht dem Einzelnen, sondern allen dienen. Der Maßstab richtet sich nach dem Nutzen, den das Kollektiv davonträgt.

 

Hier wird deutlich, dass Glück Interpretationssache ist. Was für Person A Glück bedeutet, muss nicht zwangsläufig für Person B gelten. Bhutans Premierminister betont zudem, dass Glück nur entstehen könne, wenn niemand leide und die Menschen in Einklang mit der Natur leben.

 

Der Glücksatlas und seine Implikationen

 

WohlstandTrotz aller Herausforderungen scheint die deutsche Bevölkerung glücklich und damit wohlhabend zu sein. Der von der Deutschen Post herausgegebene Glücksatlas besagt, dass auf einer Skala von 1 bis 10 das Glücksniveau bei 6,74 Punkten liegt – ein guter Wert. Daneben sind 80 Prozent der befragten froh, in Deutschland zu leben.

 

Gemäß dieser Ergebnisse in Kombination mit dem BIP und der Stärke der deutschen Wirtschaft liegt die Schlussfolgerung nahe, dass das Land wohlhabend ist. Demnach genießen auch seine Bürger Wohlstand. Fraglich ist, was die Zukunft bringt.

 

Die Herausforderung wird sein, Wohlstand auszubauen und Ungleichheiten zu bekämpfen. Dabei kommt dem Umweltschutz große Bedeutung und Strahlkraft zu. Es ist anzunehmen, dass dieser bei Berechnung des Bruttoinlandsprodukts eine gewichtige Rolle spielen wird.

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