BIP – Das Bruttoinlandsprodukt

BIP – Das Bruttoinlandsprodukt

Das BIP ermittelt, wie viele Güter und Dienstleistungen eine Volkswirtschaft in einem Jahr hervorbringt. Der Wert dieser Waren/Dienstleistungen gilt (noch) als wichtigste volkswirtschaftliche Kennziffer, um Wirtschaftsleistung und Wirtschaftswachstum des jeweiligen Staates zu bewerten.

 

Bei seiner isolierten Betrachtung der Wertschöpfung vernachlässigt diese fast 80 Jahre alte Kenngröße etliche Wirtschaftsfaktoren, die heute zur Beurteilung einer zeitgemäßen Wirtschaftsleistung herangezogen werden müssen. Deshalb wird das Bruttoinlandsprodukt inzwischen durch weitere volkswirtschaftliche Indizes ergänzt. Es gibt auch schon länger Pläne zur Neugestaltung/dem Ersatz dieser nicht mehr zukunftsfähigen Kennzahl.

 

Die Bedeutung des BIP als wichtigste Kennzahl der Volksleistung

 

Das BIP ergibt eine einfache Kennzahl, die Politikern und Investoren ermöglicht, die wirtschaftliche Leistung eines Staates auf einen Blick einzuschätzen. So konnte sich das BIP weltweit zu einem zentralen Indikator entwickeln. Dieser hat sich in Deutschlands allerdings erst recht spät durchgesetzt, wie die Entwicklungsgeschichte des Bruttoinlandsprodukts zeigt.

 

Wie entwickelte sich die geltende Definition des BIP?

 

Die heute ermittelte Kennzahl „Bruttoinlandsprodukt“ hat eine lange Entwicklungsgeschichte. Im 17. Jahrhundert stellte der britische Ökonom Sir William Petty (1623 – 1687) das erste Mal Daten zusammen, die der Regierung zu besserer Wirtschaftspolitik und höheren Steuereinnahmen verhelfen sollten.

 

Anlass waren Wirtschaftskrisen, verursacht durch Bürgerkriege in England und Konflikte mit Irland und Schottland. In Folge entstanden viele Theorien über den Zusammenhang von wirtschaftlicher Leistung, Volkseinkommen und der Gesamtwohlfahrt dieses Landes. Die politische/wirtschaftliche Bedeutung statistischer Datenerhebung nach Petty bezweifelte man jedoch bis ins 20. Jahrhundert.

 

Entwicklung im 20. Jahrhundert

 

In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Volkswirtschaftslehre zum wachsenden Forschungsgebiet, womit man auch zunehmend Ideen systematischer Wohlstandsmessung durch Erfassung von Wirtschaftsdaten diskutierte. Der britisch-australische Ökonom Colin Clark (1905 – 1989) war 1932 der erste Ökonom nach Petty, der sich wieder mit Berechnungen des Volkseinkommens beschäftigte. Er gilt als wichtiger Vordenker des aktuellen BIP, weil er grundlegende (bis heute genutzte) Elemente zur Erfassung des Volkseinkommens entwickelte.

 

Die britische Regierung hielt die Berechnung des Volkseinkommens lange für überflüssig. Bis England September 1939 gemeinsam mit Frankreich in den (Zweiten Welt-) Krieg gegen Deutschland eintrat. Der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes legte nun in seinem Buch „How to pay for the war“ 1940 die endgültigen Strukturen fest, nach denen man noch heute das Bruttoinlandsprodukt berechnet. Der Zweite Weltkrieg war die Geburtsstunde der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, weil man die Daten zur Kalkulation der Mittel für Kriegsausgaben brauchte.

 

Die Rolle Nordamerikas in der Entwicklung

 

Auch die USA optimierte ihre Kriegswirtschaft anhand der Berechnung des Volkseinkommens. 1944 einigten sich Großbritannien, die USA und Kanada auf eine gemeinsame Berechnungsgrundlage für das Bruttosozialprodukt. Deutschland war zu dieser Zeit noch nicht über vereinzelte, unstete Ansätze zur Erhebung des Volkseinkommens hinausgekommen.

 

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs erkannte man zwar schon die Notwendigkeit, staatliche Statistikdaten zum damals völlig unbekannten Zustand der Wirtschaft zu erheben. Ansätze zu Datensammlungen (die Gewerkschaften unterstützten, um zu geringe Löhne öffentlich bekannt zu machen) scheiterten jedoch am Widerstand von Unternehmertum und Großindustrie. Wenn man Erhebungen vornehmen konnte, zeigten sie riesige Lücken zwischen verhandelten und realen Löhnen. Die Verschleierung der Einkommensverhältnisse behinderte bis 1933 Konjunkturforschung und Wirtschaftspolitik, bis sie im Nationalsozialismus auf vorindustriellen Wissensstand zurückfiel.

 

Der Marshallplan bringt die erste offizielle Berechnung mit sich

 

Deshalb erfolgte die erste offizielle Berechnung des deutschen Bruttosozialproduktes im Rahmen des Marshallplans (US-Wirtschaftsförderungsprogramm für europäischen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg). Damit man die ermittelten Zahlen wie von den USA gefordert offiziell veröffentlichen konnte, musste man zunächst die amtliche Statistik Deutschlands neu aufbauen. Es sollte bis in die ersten Anflüge des „Wirtschaftswunders“ dauern, bis die damalige deutsche Politik ihre Skepsis gegen die ihrer Meinung nach „planwirtschaftliche“ volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ablegte.

 

Erst als sich zeigte, wie vielseitig die Zahlen einsetzbar waren – dass sie die statistischen Grundlagen für Steuerschätzungen, Finanzplanung und Haushaltsplan lieferten und verschiedensten Wirtschaftsbereichen Nutzen brachten – setzte sich das Bruttosozialprodukt durch und bekam auch in Deutschland den Status einer der mächtigsten politischen Zahlen.

 

Vom Bruttosozialprodukt zum Bruttoinlandsprodukt

 

BIPDie geschilderte Entwicklung war in allen genannten Staaten zunächst auf die Ermittlung des Bruttosozialproduktes (BSP) gerichtet. Wert aller Waren und Dienstleistungen, die Einwohner eines Landes erstellen (egal, ob man diese Einkommen im Inland oder im Ausland erzielt, Inländerprinzip). Ausschlaggebend ist die Staatsangehörigkeit bzw. der Wohnsitz.

 

Weil man mit dem Bruttosozialprodukt genau genommen nicht die Wirtschaftskraft des Landes, sondern nur das Gesamteinkommen aller Staatsbürger erfasst (auch wenn diese ihre Leistung am anderen Ende der Welt erbringen), hat sich Bedeutung und Nutzung der Kennzahlen im Zuge der Globalisierung verändert. Es wurde international üblich, das Bruttoinlandsprodukt nach dem Inlandsprinzip zu berechnen. Es zählen alle im Land erbrachten Leistungen (auch wenn sie von Ausländern erbracht werden); ausschlaggebend sind die Landesgrenzen.

 

Im Zuge der Einführung des „Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen“ hat auch das Statistische Bundesamt seine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 1999 umgestellt. Seitdem heißt das Bruttosozialprodukt „Bruttonationaleinkommen, das Bruttoinlandsprodukt nach Inlandsprinzip kam als international vergleichbare Kennziffer dazu.

 

Dieser Wechsel bei der wichtigsten Kennzahlen zieht bis heute viel Begriffsverwirrung nach sich, weil man in Medienartikeln und Internet-Ratgebern immer noch gerne der altbekannten Begriff Bruttosozialprodukt synonym zu Bruttoinlandsprodukt verwendet (auch ohne jeden Hinweis darauf, dass es eigentlich um das BIP geht).

 

Die Aussagekraft des Bruttoinlandsprodukts

 

Das BIP wird auf der ganzen Welt erhoben und ermöglicht so Vergleiche der Wirtschaft verschiedener Länder, aber nur sehr beschränkte Aussagen zur wirtschaftlichen Stellung der Einwohner dieses Landes:

 

Indikator für die Wirtschaftskraft: Anteil am Welt-Bruttoinlandsprodukt

 

Wenn man das Bruttoinlandsprodukt der Weltwirtschaft in Beziehung zu den BIPs einzelner Länder/Regionen setzt, lässt sich die wirtschaftliche Stärke dieser Länder/Regionen ablesen. Hier einige Beispiel mit den Zahlen des Internationalen Währungsfonds IWF für das Jahr 2019:

 

BIPBWP/BIP in Milliarden US-Dollar:

0. BWP Welt 87.552,4
1. USA 21.433,2
2. China 14.731,8
3. Japan 5.079,9
4. Deutschland 3.861,6

20. Schweiz 704,8

31. Norwegen 403,3
32. Irland 398,5

71. Luxemburg 71,1

 

Die fünfstelligen Milliarden-Zahlen für USA und China gegenüber den nur vierstelligen deutschen Milliarden weisen aber schon darauf hin, dass das BIP zwar eine gute Kennzahl für die Wirtschaftskraft eines Landes/Staates ist, über den Reichtum der Einwohner aber sehr wenig aussagt. Das ist sehr wichtig für Verständnis und Einordnung der Kennzahl. Die Wirtschaftsstärke wird abgekoppelt von der Anzahl der Einwohner dargestellt, die diese starke Wirtschaftsleistung erbringen (oder auch nicht erbringen, wie im nächsten Absatz gezeigt wird).

 

Pro-Kopf-BIP als Wohlstands-Marker

 

Wird das Bruttoinlandsprodukt durch die Einwohnerzahl des jeweiligen Landes geteilt, ergibt sich der Wert an Wirtschaftsleistung, der auf jeden einzelnen Einwohner entfällt. So können die Wirtschaftsleistungen von Wirtschaftsräumen ganz unterschiedlicher Größe besser verglichen werden, wie die nun vollkommen andere Rangfolge der oben aufgeführten Beispiele zeigt:

 

BIP pro Einwohner in US-Dollar:
1. Luxemburg 115.839
2. Schweiz 82.484
3. Irland 80.504

5. Norwegen 75.294

7. Vereinigte Staaten  65.254

18. Deutschland 46.473

25. Japan 40.256

69. China 10.522

 

Diese Zahlen können verwundern, zeigen aber nur die begrenzte Aussagekraft des BIP, der auch in der Berechnung als Pro-Kopf-Wert nicht immer als gutes Maß für den materiellen Wohlstand angesehen werden kann:

 

In Irland hebt der BIP das niedrige Pro-Kopf-Einkommen der Einwohner durch Einrechnung der Leistungen der zahlreichen in Irland ansässigen „Steuerflucht-Unternehmen künstlich an. In Luxemburg wird der Arbeitslohn zu 43,2 % durch ausländische „Grenzgänger“ erwirtschaftet, die das reale Pro-Kopf-Einkommen in etwa verdoppeln. Die wirtschaftliche Leistung Chinas wird von rund 1,4 Milliarden Einwohnern erbracht, erscheint in der Pro-Kopf-Betrachtung also überhaupt nicht mehr außergewöhnlich hoch. Es gibt viele weitere Gründe für Verzerrungen (wie die im europäischen Maßstab sehr geringe Ungleichheit bei Einkommens- und Vermögensverteilung in der Schweiz), die zur genaueren Einordnung der Kennzahl jeweils ergründet werden müssen.

 

Das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für das Wirtschaftswachstum

 

Der Zuwachs des BIP in Prozent gegenüber dem Vorjahr gilt als wichtige (wichtigste) Kennzahl für das Wirtschaftswachstum. Hier die Veränderungen der Wirtschaftskraft von 2018 zu 2019 für unsere Beispiele:

 

1. China 6,43 % plus
2. Vereinigte Staaten 5,43 % plus
3. Irland 3,06 % plus
4. Japan 2,58 % plus
5. Luxemburg 0,23 % plus
6. Schweiz 0,10 % minus
7. Deutschland 2,62 % minus
8. Norwegen 7,10 % minus

 

Es zeigt sich wieder eine völlig andere Rangfolge, deren Einordnung wiederum ohne Heranziehung weiterer wertender Kriterien nicht möglich ist. Das nach Bruttoinlandsprodukt sehr erfreuliche chinesische Wirtschaftswachstum lässt sich politisch als Argument für eine einheitliche (diktatorische) Regierungsform nutzen – das schlechte Abschneiden Chinas in allen Indizes, die naturverträglichen Wohlstand für freie Menschen im Blick haben, spricht dagegen.
Hier liegt einer der Hauptantriebe für eine Neugestaltung der Kennzahl: Sie gibt wenig Hinweise auf eine Umgestaltung der Wirtschaft, die den Einwohnern des jeweiligen Landes ein zufriedeneres Leben ermöglicht.

 

Wann und warum steigt/sinkt das Bruttoinlandsprodukt?

 

Das Bruttoinlandsprodukt steigt, wenn gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr der in die Berechnung einfließenden Waren und Dienstleistungen erzeugt wurden oder der Wert dieser Waren/Dienstleistungen gestiegen ist. Dieser als Wirtschaftswachstum gedeutete Zuwachs kann auf technologischer Fortschritt (mit hohen Folgekosten für die Umwelt) zurückgehen, auf Bildungsreformen; aber auch auf höhere Beschäftigungszahlen durch geburtenstarke Jahrgänge, die dem einzelnen Einwohner kaum wirtschaftliches Wachstum bringen.

 

Die sichere Identifikation wachstumssteigernder Faktoren ist eine von der Volkswirtschaft seit hunderten Jahren nicht bewältigte Aufgabe, zu deren Lösung das Bruttoinlandsprodukt bisher wenig beitragen konnte.

 

Ein sinkendes Bruttoinlandsprodukt deutet auf eine Rezession hin. Von ihr spricht man, wenn das BIP länger als ein halbes Jahr lang niedriger ist als im Vorjahr. Auch für nachlassendes Wirtschaftswachstum gibt es viele Gründe.

  • Weniger Arbeitskräfte aufgrund eines demographischen Wandels
  • zu viele Firmen einstmals wichtiger Branchen „verschlafen“ die Anpassung an die Forderungen der Zeit und gehen pleite, weil niemand mehr die veralteten Produkte kaufen will
  • zu viele Firmen wandern ins Ausland ab, weil die Regierung ihres Landes die Bereitstellung zeitgemäßer Infrastruktur versäumt.

 

Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen, die der Anlass zur Entwicklung und Erhebung des Bruttoinlandsprodukts waren, schädigen die Wirtschaft der beteiligten Länder natürlich nach wie vor gewaltig; durch Viren verursachte weltweite Pandemien wie Corona führen weltweit zu Wirtschafts-Einbrüchen, die sich bei schlechter Infrastruktur potenzieren können und bei guter Infrastruktur eher glimpflich ablaufen können.

 

Wie wird das Bruttoinlandsprodukt berechnet?

 

Das offizielle deutsche Bruttoinlandsprodukt wird vom statischen Bundesamt berechnet und an den Internationalen Währungsfonds (IWF) weitergeleitet, der seit Jahrzehnten die internationalen BIP-Zahlen erfasst.

 

Das statische Bundesamt berechnet das BIP mehrmals im Jahr und auch als Vorabschätzung, es verwendet dabei zwei Methoden (die beide zum gleichen Ergebnis führen):

 

Die Entstehungsrechnung

 

Bei der „Entstehungsrechnung“ wird der Wert sämtlicher Produkte addiert, die im Betrachtungszeitraum im Land produziert wurden. Dieser Wert wird nun um die (verfälschenden) Steuern und Subventionen bereinigt, heraus kommt das BIP:

  • Wert der Jahres-Produktion minus Vorleistungen ergibt die Bruttowertschöpfung.
  • Plus Gütersteuern, minus Gütersubventionen, ergibt das Bruttoinlandsprodukt.

 

Die Verwendungsrechnung

 

Bei der „Verwendungsrechnung“ wird der Wert aller verkauften Waren (inklusive Exporte und Investitionsgüter) addiert. Dieser Wert muss nur um die eingeführten Waren bereinigt werden, um das Bruttoinlandsprodukt auszugeben:

Private Konsumausgaben plus Konsumausgaben des Staates

+ Bruttoinvestitionen

+/- Außenbeitrag (Exporte minus Importe)

= das Bruttoinlandsprodukt.

 

Die Verteilungsrechnung

 

Die dritte Berechnungsform der „Verteilungsrechnung“ wäre eigentlich dazu da, Aufschluss über die Verteilung des Volkseinkommens zu geben, indem das Bruttoinlandsprodukt vor dem Hintergrund der durch die Volksleistung erzeugten Einkommen ermittelt wird.

 

Leider ist es dem deutschen Statistischen Bundesamt nicht möglich, eine in sich geschlossene aussagekräftige Verteilungsrechnung zu erstellen, weil ihm nur lückenhafte statistische Basis-Informationen über die Gewinne der Unternehmen vorliegen und damit auch die Einkommen der Arbeitnehmer nicht genau ermittelt werden können. Die Zahlen werden nur als ungefähre Saldengrößen aus anderen Daten zum gesamtwirtschaftlichen Kreislauf abgeleitet.

 

Da der Geldwert mit der Inflation schwankt, werden weiter ein reales (inflationsbereinigtes) und ein nominales (nicht inflationsbereinigtes) BIP berechnet.  Außerdem wird das Bruttoinlandsprodukt zur Berechnung des BIP-Deflators (Quotient aus Nominal- und Real-BIP; „BIP-impliziter Preisindex“, der die Preisentwicklung der Produktions-Endgüter misst) und des NIP (Nettoinlandsprodukt, BIP minus Abschreibungen) eingesetzt. Der Internationale Währungsfonds berechnet aus den Bruttoinlandsprodukten der einzelnen Staaten die jeweilige Staatsschulden-Quote.

 

Entwicklung und Zukunft des BIP

 

Seit über 75 Jahren ermittelt man das BIP nun schon auf fast gleiche Art. In dieser Zeit haben sich nicht nur die (digitalen) Berechnungsmöglichkeiten und die verfügbaren Produktionsfaktoren entscheidend verändert. Der Bildungsstand hat sich weltweit und vor allem in den führenden Industriestaaten verbessert. Durch die Digitalisierung ist sowohl mehr persönliche, unabhängige Bildung möglich als auch eine nachhaltige Entwicklung hin zu mehr staatlicher Transparenz eingeleitet worden.

 

Kritik am BIP, fehlende Werte

 

Das Bruttoinlandsprodukt vernachlässigt verschiedenste Realitäten, die heute für die Erstellung der volkswirtschaftlichen Leistung unerlässlich wichtig sind. Folgende Faktoren berechnet man nicht oder nur teilweise mit:

 

1. Alle Formen der Subsistenzwirtschaft, Produktion zur Selbstversorgung und Sicherung des Lebensunterhaltes von Familien und kleinen Gemeinschaften, die auch in Deutschland in verschiedensten Formen ansteigt

 

2. Alle unbezahlten Tätigkeiten:

  • Kinderbetreuung und häusliche Pflege, die in Deutschland die privaten und staatlichen Angebote in großem Umfang entlastet
  • Haus- und Familienarbeit, die im Haushalt Werte schafft und angesichts des aktuell nicht optimal aufgestellten deutschen Schulsystems wichtige Bildungsgrundlagen legt
  • Ehrenämter, die aktuell in Deutschland in großem Umfang Aufgaben tragen, die eigentlich zur staatlichen Daseinsvorsorge gehören (staatliche Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die für ein menschliches/menschenwürdiges Dasein notwendig sind)
  • Heimwerken und Hobby-Ausübung

 

3. Schwarzarbeit und die ausgedehnten Schattenwirtschaften, die in etlichen Staaten erhebliche Leistungen hervorbringen

 

Doch nicht nur durch die Vernachlässigung dieser realen Wirtschaftsleistungen wird der Nutzen der BIP-Aussagen zunehmend bezweifelt. Viel mehr wird kritisiert, dass dieser Wohlstandsindikator die Wohlstandsmehrung frei von ethischen, moralischen, ökologischen usw. Erfordernissen misst, was ein Großteil der deutschen Bürger inzwischen weiß und ablehnt.

 

Deshalb mehren sich die Stimmen, die die Bedeutung des BIP als „wichtigsten Wirtschafts-Indikator“ bezweifeln – weil ein „wichtiger“ Wirtschafts-Indikator Regierung und Unternehmen helfen sollte, die Wirtschaft auf die Zukunft (mehr Wohlstand für jeden, bessere Lebensqualität, mehr soziale Gerechtigkeit etc.) auszurichten, während der BIP über all diese Punkte keine Aussagen trifft.

 

Alternative volkswirtschaftliche Indizes

 

Ebenso wenig erhellend sind die Daten des BIP für die Fortentwicklung der sozialstaatlichen Absicherungssysteme (Renten-, Kranken-, Pflegeversicherung), für die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, der Luftqualität und noch vieler anderer brennender Zeitthemen. Aus diesem Grund haben sich inzwischen etliche weitere Indizes entwickelt.

 

1. Genuine Progress Indicator (GPI):

 

Misst die Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachstums. Im BIP positiv verbuchte Wirtschaftsleistungen, die in Zukunft mehr Kosten als die gegenwärtigen Gewinne verursachen, werden negativ bewertet. Dieser „korrigierte BIP“ gilt in der EU und darüber hinaus als aussichtsreicher Kandidat zur Ablösung des BIP. Man diskutiert ihn umfassend und verändert ihn dabei dauernd. In ersten Berechnungen ergab der „realistische BIP“ für Deutschland einen „bescheidenen“ Wohlstandsgewinn, während der nach BIP 1950-1995 verdoppelte US-Wohlstand nach GPI ein Rückschritt ist (45% minus von 1975 bis 1995).

 

BIP2. Good Country Index (GCI):

 

Misst die Investitionen in Friedenserhaltung und globalen Wohlstand anhand von Daten aus verschiedensten Gesellschaftsbereichen und gilt als Indikator für die „Zukunfts-Fitness„. Deutschland belege 2017 in Frieden und Sicherheit Platz 37, Wissenschaft und Technologie Platz 21, Planet und Klima Platz 18, Kultur Platz 15, Wohlstand und Gleichheit Platz 14, Gesundheit und Wohlbefinden Platz 7, Weltordnung Platz 2 (was insgesamt immer noch zu Platz 5 in der Welt kumulierte).

 

3. World Happiness Report der Vereinten Nationen:

 

Misst die Lebenszufriedenheit der Einwohner, mit Deutschland auf Platz 17 im Jahr 2020.

 

4. Gini-Index:

 

Misst die Ungleichheit der Einkommens-/Vermögensverteilung. Deutschland belegt beim Einkommen Platz 22 und hat sich bei der Ungleichheit der Vermögensverteilung seit 2000 von einem schlechten Platz 40 fast ans Ende der Welt vorgearbeitet (2019 Platz 153).

 

5. Happy Planet Index:

 

Misst ökologischen Fußabdruck und Effizienz, mit der sich ein Land um die Lebenszufriedenheit und höhere Lebenserwartung seiner Bürger bemüht. Bei der letzten Erhebung 2016 erreichte Deutschland Platz 49.

 

Bedeutung des BIP schwindet

 

Es gibt viele weitere Indizes, die realistisch denkende Unternehmer zur besseren Einordnung der recht inhaltsleeren BIP-Werte heranziehen können. Die Bedeutung des Bruttoinlandsprodukts geht bereits zurück, weil international zunehmend neue, teils sehr ausgeklügelte Wohlstandsindikatoren angewendet werden.

 

Auch die deutsche Regierung ist „eigentlich“ der Meinung, dass die Aussagekraft des BIP den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht wird. Sie hat deshalb 2010 eine parteiübergreifende Enquete-Kommission eingesetzt, die neue Wege und Indikatoren für nachhaltiges Wirtschaften, gesellschaftlichen Fortschritt, Wachstum und hohe Lebensqualität für unsere soziale Marktwirtschaft entwickeln sollte.

 

Diese Kommission hat 2013 in ihrem Abschlussbericht die sogenannten W3-Indikatoren vorgelegt, die die materiellen Wohlstandsfaktoren mit ökologischen, sozialen und Teilhabe-Faktoren zu einem neuen Wohlstandsindikator formen sollen. Seitdem diskutiert man. Experten gehen davon aus, dass die Regierung diese Aufgabe erst nach den nächsten Wahlen in Angriff nimmt.

 

Bis dahin bleibt der BIP unser offizielles Werkzeug – von dem schon Robert Kennedy in den 1950ern sagte, dass er „alles misst, außer dem, was das Leben lebenswert macht„.

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